Herr Maurer hat auf die Rezension im Freitag mit einem Text auf Zeitonline geantwortet. Na ja, richtig geantwortet hat er nicht, er hat halt seine Sachen nochmal wiederholt: dass das ungerechte Schulsystem vielen Menschen Chancen raubt! Was mache ich denn jetzt? Wo ich das ja nicht prinzipiell abstreite, aber dennoch nach einem Blick auf die Realität zu einem anderen Schluss komme: Dass im Schulsystem derzeit eher die Chancen als die Behinderungen überwiegen.
Dazu zwei Listen, die verstehbar machen sollen, was die Fakten sind und wieso Herr Maurer viele von ihnen ausblendet.
Liste 1 die Realien
Erstens ist das deutsche Schulsystem von jeher durch seine Teilung in verschiedene Schulformen geprägt: Die dreigliedrige Schule von Haupt- und Realschule sowie Gymnasium (und dem vierten Glied Sonderschule) sortiert die Kinder nach Bildungschancen. Das bedeutet: Es war und ist ungerecht. Herr Maurer hat Recht.
Zweitens ist dieses System seit ca. 15 Jahren einer Generalrevision unterworfen worden. Obwohl die Kultusminister nach der Pisa-Studie im Jahr 2001 den Schwur abgaben, die Schulformen nicht anzutasten, taten sie genau das. Herr Maurer sieht das nicht.
Drittens heißt das, die scharfe Gliederung befindet sich in Auflösung. Das sieht man an einer Explosion der Formen von weiter führenden Schulen. Von denen gibt es heute nicht mehr drei, sondern inzwischen mehr als ein Dutzend. In vielen dieser Schulen, den Gesamtschulen, Gemeinschaftsschulen, Stadteilschulen, manchen Oberschulen ist es möglich, das Abitur zu erringen. Herr Maurer spricht darüber nicht.
Viertens beobachten wir also eine Ausweitung, ja Explosion der Abiturraten. Inzwischen machen 60 Prozent eines Jahrgangs Abi – und 57,3 Prozent gehen auf die Hochschule. Das ist die neueste Zahl. Herr Maurer nennt sie nicht – wahrscheinlich, weil sie seine These bis zur Unkenntlichkeit verkompliziert.
Fünftens heißt das nicht, dass Maurers These ganz von der Platte zu putzen wäre. Gerade die Bildungsarmutskerne des Schulsystems, die auf die Sozialräume bezogenen Ghettoschulen, sind schwer zu knacken. Auch die Nachteile der Sonderschulen sind nicht weg und, nicht anders, sind die Vorbereitungsklassen komplexe Lernräume. Aber: Selbst dort beobachten wir Veränderung und neue Offenheit: Sonderschulen werden abgeschafft, in Ghetttoschulen wird viel Geld und Personal investiert und die Willkommensklassen, also die Haltung dort, ist teilweise eine regelrechte Freude. Selbst ganz unten am brettharten Sockel der Bildungsarmut wird inzwischen gewerkelt. Mit anderen Worten, 60 Prozent eines Jahrgangs oben machen Abitur und für die rund 20 Prozent ganz unten wird gerade an Chancenausweitung gearbeitet.
Sechstens müsste man die Gesamteinschätzung von Schule also variieren. Mit der institutionellen geht eine gravierende soziale Veränderung von Schule einher: Wir beobachten eine Revolution der Bildungschancen. Ich finde, dass die Entwicklung seit Pisa im allgemeinen und seit 2012 die stark gestiegenen Abiturraten im besonderen der prägende Trend sind. Nicht mehr der Bildungsrassismus, den Herr Maurer beklagt. Obwohl, selbstverständlich, das Schulsystem deswegen noch nicht etwa gerecht wäre.
Wieso sieht der Herr Maurer das nicht, wieso kommt er von ganz okayen Beobachtungen am Ende zu einer Fehleinschätzung und sieht all die Chancen gar nicht, die sich gerade für die meisten Teilnehmer von Bildung auftun? Wieso also geht das alles so durcheinander?
Das liegt daran, dass unter erstens bis sechstens die Fakten aufgezählt wurden, die aus Statistiken, Entwicklungen und Beobachtungen abzulesen sind. Die Haltungen und Sichtweisen auf diese Fakten sind nun etwas anderes. Sie sind zäh, sie krallen sich gerne an der Vergangenheit fest, wollen Besitzstände waren und sind ein Problem für denkfaule und geistig festgelegte Zeitgenossen. Das bedeutet, es ist eine zweite Liste nötig – die der Bildungsideologien und -ideologen.
Liste 2 – die Ideologien (folgt, work in progress)