Gamification heißt ein Trend, der nun die Schule erfasst. So genannte serious games sollen beim Lernen helfen. In der Erwachsenenbildung gerne – aber in der Schule haben sie nichts verloren
Die „Elternflüstererin“ von Scoyo, Bea Beste, hat jüngst ein paar Tipps für den Umgang mit Computerspielen gegeben. Was aber tun, wenn nun sogar die Schule auf Games abfährt? Es gibt immer mehr Lernspiele, von einfachen Ja/Nein und Memorierungsaufgaben bis hin zu komplexen Rollenspielen. Bei Assessment-Centern oder in der Erwachsenenbildung finde ich Spiele dieser Art ganz vernünftig. In der Schule haben sie meines Erachtens nichts verloren.
Die beste Begründung dafür liefert Jean Piaget. Genau, das ist jener legendäre Entwicklungspsychologe, den die Gamesindustrie so gerne auf ihre Seite ziehen will: Beim Spielen nämlich lerne das Kind – sogar mehr als im Repetieren vorgekauter Wissenshäppchen. Das stimmt wohl. Nur spricht, genauer sprach Piaget eben von Spielen in Sinne von Play, aber mitnichten von Game. Von Game konnte Piaget gar nicht sprechen, weil es zu seiner Zeit nur ein paar sehr unterentwickelte und vor allem wenige Computerspiele gab. Piaget starb 1980, da flogen bei „Pong“ die ersten Tennis“bälle“ über den schwarzen Centrecourt. Von Lernspielen war man damals noch weit entfernt.
Piaget würde sich im Grabe umdrehen
Piaget würde sich im Grabe umdrehen, wenn er sich die Hymnen an den Hochschulen anhören müsste, die in seinem Namen über Games verzapft werden. Für Piaget sei das Spiel eine Form elementaren Denkens gewesen, behauptet etwa Linda Breitlauch: „im Spiel wird die Wirklichkeit reflektiert und gelernt.“ Kein Wunder, dass solch unkritische Elogen geschwungen werden. Nicht selten sind die Hochschulen ja mittelbar von der Gamesindustrie bezahlt, für die sie auch ausbilden. Das können sie wahrscheinlich ganz gut, aber die wissenschaftlichen Ausarbeitungen sind oft derart kümmerlich, dass man nicht genau weiß, ob man da von schon Wissenschaft sprechen kann.
Play und Game sind zwei Welten, die nichts miteinander zu tun haben – außer dass man sie beide mit Spiel übersetzen kann. In Games hüpft ein Spieler über die Stöckchen, die ein Programmierer ihm hinhält. Er wird wie ein Pawlowsches Hündchen permanent mit Belohnungen angefüttert, die Erfolg signalisieren sollen. Das bringt einen angeblichen „Lernflow“. Ich habe da meine Zweifel. Games sind beim Lernen für das aufgemotzte Memorieren ganz gut, d.h. sie machen auswendig lernen leichter. Viel mehr ist nicht.
Spielen ist forschendes Lernen – im Wald, aber nicht in Games
Play aber, um das es Piaget ging, ist das glatte Gegenteil davon: es begeistert die Spieler, weil hier Kreativität gefordert ist – für das Finden eigener Lösungen. Spielen ist die Vorform von Forschen. Deswegen ist der Waldkindergarten ein so erfolgreiches Modell: Kinder spielen im Wald stundenlang z.B. mit ein paar Ästen, sie imaganieren Situationen, Figuren, Aufgaben, sie erfinden permanent Neues. Das ist Spielen im forschenden und kreativen Sinne. Alles, was dort entsteht, ist vollkommen neu.
Ganz anders bei den Games, wo die Spieler nur vorgetrampelten Pfaden nachlaufen können. Die Kinder denken, sie hätten einen eigenen Weg gefunden. Tatsächlich wandeln sie auf den klebrigen Spuren, die im Hintergrund die invisible hand eines Programmierers für sie ausgelegt hat. Wer seinem Kind den Weg zu komplexen Lernaufgaben verbauen will, der trainiert sie möglichst früh auf stupende binäre Computeraufgaben. Natürlich hat die Ja/Nein-Logik etwas bestechend einfaches – aber sie reduziert dadurch das, was Kinder erforschen sollen: Ihre Umwelt.
Es gibt inzwischen Games, die komplexe Charaktere als Akteure haben. In ihnen gibt es so etwas wie offene Antworträume. Solche Rollenspiele mögen ihren Sinn selbst in der Schule haben – in der Oberstufe beim Entwicklungshilfespiel etwa.
Was aber kann man eigentlich tun gegen die stundenlange Zockerei, fragen Sie zurecht. Ich habe im ersten Teil der Kolumne ja schon ein paar Hinweise gegeben, dass man sich pädagogische Mätzchen und pseudocoole Fragerunden seiner Kinder besser sparen sollte. Die Lösung ist so simpel wie der Beginn eines Computerspiels: Bei Games gilt die Grundregel „weniger ist mehr“. Und: „je später desto besser“. Die jüngste Pisa-Studie zu Computern hat es gezeigt: Kinder aus gebildeten Elternhäusern reduzieren und regulieren die Spielzeiten. das ist der erste und wichtigste pädagogische Zugang zu Games.
Wenden Sie gerne auch Beas Mitspiel- und Sprechangebote gerne an – sobald ihre Kinder in die Grundschule kommen. Vorher sollten sie ihren Kindern am besten gar nicht an Computerspiele heran lassen. Halten Sie die Spielzeiten, wenn es losgeht, so kurz, wie eben nur möglich. Seien sie immer der Herr des WLans zuhause. Wenn´s kritisch wird: Stecker ziehen – und zwar bevor, die Spieledaten ihres Filius gespeichert sind. Machen Sie sich nicht zum Sklaven eines herunterfahrenden Progamms. Wer dreimal angekündigt hat, dass in 10, 5, 2, Minuten Schluß ist, der muss dann auch Exit wählen.
Sie werden sehen, dass es danach etwas gibt, was der Schlüssel für Erziehung ist: Gesprächsbedarf – bei ihren Kindern.
Ich weiß zu wenig, wie die jungen Leute von heute spielen. Aber grundsätzlich ist die Trennung von play und game schwierig. In diesem kleinen Aufsatz argumentiert der Autor, dass COmptuerspiele eigentlich alle „toys“ sind, die zum explorativen, ungeregelten Spielen einladen (auch wenn er sie als „broken toys“ sieht“, und eben nicht „games“ im Sinn eines Ziels, das durch Regeln vorgegeben ist:
http://gamasutra.com/blogs/KeithBurgun/20150406/240462/Videogames_Are_Broken_Toys.php
Das gilt sicher für Minecraft und andere Open-World-Spiele wie Grand Theft Auto. Da geht es darum, was man in dem Spiel anstellen kann, das so nicht vorgesehen war. Aber das kann auch für andere Spiele zutreffen. Wie gesagt, wie wirklich von den jungen Freizeitspielern gespielt wird, das weiß ich nicht.
Ich halte das Thema ganz und gar nicht für verbannenswert. Auch nicht aus jüngeren Jahrgängen. Was soll verwerflich daran sein, ein Spiel in einer anderen Sprache durchzuspielen und dessen Sprache verstehen zu müssen, um das Ziel zu erreichen? Oder Spielfiguren durch Programmiereingaben zu „manipulieren“ und dadurch etwas über Programmierung zu lernen? Oder wirtschaftliche Faktoren in Industrienationen zu manipulieren und dadurch etwas über deren komplexes Zusammenspiel zu lernen? Sowohl dazu als auch zu zahlreichen weiteren Beispielen existieren bereits Spiele. Bei weitem sind die (Lern-)Spiele heutzutage auch nicht mehr reine Binärlogik. Wohlgemerkt spreche ich hier von sog. Serious Games. Ich halte es nicht für zielführend, bspw. Geschichtsunterricht durch das Durchspielen von Assassins Creed zu ersetzen. Nicht nur, dass sich dadurch nachweislich eine tendentiöse und teilweise fälschliche Geschichtsdarstellung ergibt, es gehen m.E. nach auch die Fähigkeiten unter, die allgemeinbildender Geschichtsunterricht vermitteln soll. Generell würde ich sagen, dass das Spielen zum Selbstzweck oder zur Unterhaltung nichts im Unterricht verloren hat. Genausowenig sollte ein Spiel gespielt werden, ohne das daran vermittelte Wissen in irgendeiner Art und Weise zu explizieren und auf neue Sachverhalte zu transferieren. Im Allgemeinen plädiere ich jedoch ausdrücklich für eine spielerische Vermittlung von Lerninhalten, auch unter Zuhilfenahme digitaler Spiele. Vielleicht kommt das aber auch daher, dass ich selbst noch ziemlich viel spiele und somit Lernspiele von Spielen zur reinen Unterhaltung ganz gut unterscheiden kann 🙂
volle zustimmung …..ich kümmere mich ehrenamtlich auch um flüchtlinge u.a.als deutsch moderator. da muß man allerdings,
auch bei den kindern z.b. für den deutschunterricht ganz neue
unterrichtsmethoden entwickeln.