Eine neue Studie des Wissenschaftszentrums Berlins zeigt: die Gesellschaft driftet in den Städten auseinander. Aber da, wo private Grundschulen sind, wird diese Spaltung verhindert

Bisher ging die Vermutung über den sozialen Effekt von Privatschulen so: sie spalten die Gesellschaft, sie treiben die sozialen Schichten auseinander. Erst in diesen Tagen hat der WDR in zwei spektakulären Beiträgen (Siehe Video am Ende des Textes) diese Annahme verbreitet. Nun stellt sich aber heraus: Private Grundschulen haben exakt den gegenteiligen Effekt. Sie sorgen dafür, dass Kieze und Wohnquartiere sozial zusammengehalten werden. Denn bildungsbewusste Eltern bleiben dann in den Kiezen wohnen, da sie ein gutes Schulangebot finden.

Das ist das überraschende, nein sensationelle Ergebnis einer Studie (Pressemitteilung) von Marcel Helbig und Stefanie Jähnen vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

Der Effekt des sozialräumlichen Zusammenhaltens von Privatschulen ist da besonders groß, wo viele Kinder sind und ein relativ hoher Anteil von Armen wohnt.

„In westdeutschen Städten mit über 200.000 Einwohnern (Tabelle A 22 im Anhang) zeigt sich, dass die privaten Grundschulen vor allem dort desegregierend wirken, wo der Anteil unter 6-Jähriger hoch ist, also besonders in den Städten, wo es viele Familien mit kleinen Kindern gibt.“ (S. 87 der eigentlichen Studie

Helbig und Jähnen belegen diesen Effekt vor allem in westdeutschen Städten. In ostdeutschen Städten, wo sie eine dramatische räumliche Segregation beobachten, finden sie keinen zusätzlichen negativen Effekt durch Privatschulen. (S. 90)

update: Die Studie wurde nun der Öffentlichkeit vorgestellt, und sie muss besorgt machen. Denn die soziale Segregation, also die räumliche Trennung in Wohngebiete mit über 50 Prozent Hartz-Iv-Empfängern auf der einen Seite und mit hübschen Neubauten und Villen auf der anderen Seite ist dramatisch. Marcel Helbig spricht von amerikanischen Verhältnissen. In 80 Prozent der untersuchten Städte sei die Entmischung der sozialen Räume weiter gegangen, Besonders im Osten des Landes, wo Wohngebiete sich durch unterschiedliche Baustile unterscheiden – Plattenbauten hier, Eigenheime dort – herrschten amerikanische Verhältnisse. „Den höchsten Anstieg verzeichneten Rostock, Schwerin, Potsdam, Erfurt, Halle und Weimar“, berichtet die Tagesschau. Dort gebe es eine regelrechte Trennlinie. „Die Leute begegnen sich nicht mehr am Ort, nicht mehr in der Nachbarschaft. Sie sind zusammen mit ihresgleichen”, sagt Helbig. Am stärksten sei die Segregation, wo viele Familie mit Kindern unter sechs Jahren und viele arme Menschen leben. In 36 Städten gebe es inzwischen Quartiere, in denen mehr als die Hälfte aller Kinder von Sozialleistungen leben. „Aus der Forschung wissen wir, dass die Nachbarschaft auch den Bildungserfolg beeinflusst“, erklärt die Autorin der Studie, Stefanie Jähnen.

Nun wird es allerdings interessant. Wenn es eine so dramatische Entmischung gibt, dann ist es umso spannender, dass es mit der Ansiedlung guter bzw privater Grundschulen gelinge, jene Leute am Ort zu halten, die zur guten Mischung beitragen. Ich habe aber fast nirgends diesen bedeutenden Einfluss von Privatschulen in der heutigen Berichterstattung gesehen. Lediglich der Tagesspiegel widmet dem Aspekt einen Satz. Wenn der Satz von Frau Jähnen stimmt – und er stimmt, wie die Studie über differenzielle Lernmilieus von Baumert gezeigt hat – dann wundert man sich, dass der positive Aspekt von Privatschulen nicht mehr herausgehoben wird. – Gibt es dahinter eine bestimmte Idee, das so auffällig zu verschweigen, obwohl der komplette zweite Teil der Studie sich mit den Effekten von Privatschulen befasste. Helbig verschweigt das in der Studie nicht. Aber in der Öffentlichkeit?

Zwei Studien sprechen Privatschulen frei

Mit der Studie des WZB und der der Friedrich-Ebert-Stiftung (Siehe auch hier in der WamS) sind nun binnen weniger Wochen alle großen Vorurteile gegen Privatschulen widerlegt worden:

  1. es gibt keinen sagenhaften Boom der Privatschulen, sondern eine große Aufholjagd in den östlichen Bundesländern („Von einem überwältigenden Ansturm auf private Schulen, von einer Flucht aus öffentlichen Schulen zu sprechen, scheint unangemessen“, FES, S. 05)
  2. Privatschulen sind in ihren Leistungen nicht entscheidend besser
  3. für den Sonderungseffekt im deutschen Schulsystem sind die Gymnasien verantwortlich, ihre Zusammensetzung unterscheidet sich praktisch nicht von der privater Schulen (Siehe Tabelle aus der FES-Studie hier rechts unten) 
  4. für die sozialräumliche Spaltung sind nicht Privatschulen verantwortlich zu machen, im Gegenteil haben sie sogar einen dämpfenden Effekt

Die Studie ist nicht nur inhaltlich eine Sensation, sie zeigt so etwas wie einen journalistischen Skandal. Erst vor wenigen Tagen hatte Monitor einen Beitrag so begonnen: „Arm oder reich? Wo jemand in dieser Gesellschaft landet, entscheidet sich immer früher, oft schon in der Grundschule.“

Georg Reste hatte sich dabei auf jenen Marcel Helbig bezogen – der diese Anmoderation gerade eindrucksvoll widerlegt hat. Gerade die private Grundschule hält ja die Kieze zusammen. Die Frage ist: Wusste die Redaktion von diesen für ihren Beitrag so essenziellen neuen Ergebnissen etwa nicht? Hätte eine verantwortungsvolle Redaktion diese wichtigen Erkenntnisse nicht in den Beitrag einfließen lassen müssen? Hätte sie selbstverständlich – aber dann hätte sie ihren Film in die Tonne werfen müssen. Denn er hätte einen ganz anderen Tenor gehabt: private Grundschulen verhindern sozialräumliche Spaltung – sie sind der letzte Haltepunkt für bürgerliche Milieus.

Noch vor ein paar Tagen hat freilich Helbig in der Sendung Doccupy selbst behauptet: Grundschule spaltet. Kannte er etwa seine eigenen Ergebnisse aus der Studie nicht, die heute (23.5.) veröffentlicht wurde?