Inzwischen mache ich nämlich Abitur – und zwar zusammen mit 60 Prozent meines Jahrgangs
Über den time lag des Bildungsgerechtigkeits-Buchs von Marco Maurer
Marco Maurer sprach vor einiger Zeit gestern spricht heute mit Ole von Beust in der Tucholsky-Buchhandlung in Berlin über sein neues Buch. Auf Facebook leitete er den Teaser in sein Buch so ein:
Von der Bildungsoffensive der 1960er und 1970er Jahre, als Hunderttausende so genannte Nichtakademikerkinder Abitur machen und studieren konnten, ist wenig geblieben.
Ich empfehle zur Überprüfung dieser – absurden – Aussage, den Blick auf die Abiturienten-Zahlen zu richten – sie explodieren gerade. Glaubt irgendjemand, dass in den 1960er/70er Jahren mehr Arbeiterkinder studieren konnten als heute? Bei dem Abend mit Ole von Beust wurde diese Hypothese tatsächlich aufgestellt.
update: Wie bestellt kommt der neue Berufsbildungsbericht des BIBB, um den Trend zu bestätigen. Die Zahl der Studienanfänger steige seit einigen Jahren und stabilisiere sich auf hohem Niveau: "Die Studienanfängerquote liegt nach Angaben des Statistischen Bundesamtes seit dem Jahr 2011 bei über 50 Prozent, im Jahr 2013 bei 53,1 % und nach ersten vorläufigen Ergebnissen im Jahr 2014 bei 57,3 %", heißt es in dem Bericht auf Seite 6. Link
Marco Maurer hat mal einen schönen Text geschrieben. „Ich Arbeiterkind“. Das war 2013, und es stimmte schon damals nicht so ganz. Also es stimmte für ihn, den Marco. Aber für die Republik? Jetzt hat Maurer daraus ein Buch gemacht. „Du bleibst, was Du bist“. Es bezieht sich auf die biografischen Erlebnisse einiger mittelalter Männer und Frauen wie Frank-Walter Steinmeier. Sie studierten in den 1970ern, also ungefähr da, wo auf dem Foto der rote Blitz der Ungerechtigkeit einschlägt. Aber ihre Situation ist mit der heutigen nicht mehr vergleichbar. Steinmeier als Zeugen für heute aufzurufen, verstellt den Blick.
So eloquent sich Maurers Buch liest, es stimmt nicht mehr. Glücklicherweise stimmt es nicht mehr! Nicht heute, wo nicht 10 oder 20 Prozent eines Jahrgangs Abi machen, sondern 60 Prozent. Siehe in der Abbildung hier die Studienberechtigtenquoten seit 1950; die schwarze Linie darin beschreibt die allgemeinen und die Fach-Abiturienten.
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Herrn Maurers zweiter Avatar bei Twitter ist @georgpicht. Das passt. Picht hatte sein beste Zeit 1970 in den 1960ern und 1970ern. Aber wir sind nunmal 50 Jahre weiter. Und haben daher andere Probleme: Sonderschulen, knallvolle Hochschulen, begonnene, aber nicht entwickelte zweite Wege zum Abi, eine ausgezehrte berufliche Bildung, Willkommensklassen, die nicht wirklich funktionieren. Mann Maurer, hör auf von deinem Realschullehrer zu träumen, komm in die Gegenwart! Denk an die Zukunft! Und nicht an den Schmock der 1970er. (Mehr dazu morgen heute – 10. April – im Freitag)
update: Auf Twitter gab es eine beinahe wütende Reaktion: "Mehr Akademiker, mehr AkKinder.Frage bleibt auch bei 60%: Wer studiert nicht? Wer macht kein Abi? Siehe Chancenspiegel."
Diese Kritik ist leider falsch. Man sieht daran die große Verwirrung, die in der Republik herrscht. Alle sind noch imprägniert mit dem Ungerechtigkeitsdogma, das 2001 sichtbar wurde. Damals wurde die erste Pisastudie veröffentlicht, die zeigte: Das deutsche Bildungs-, genauer Schulsystem ist leistungsschwach (24 % Risikoschüler) und auch sehr ungerecht.
Aber der Reihe nach. Die Twittererin, eine kluge Frau, die ich sehr schätze, meint in ihrem Tweet Folgendes: Die hohe Rate von 60 Prozent Studienzugangsberechtigungen, die es derzeit gebe, sie resultiere aus einem Zuwachs von AkademikerELTERN seit den 1970ern.
Es stimmt, die Zahl der Akademikereltern hat zugenommen, das kann man sehr gut auf dieser Abbildung hier unten sehen. Aber von Eltern höherer Bildung, die 60 Prozent Anteil an der Bevölkerung hätten, sind wir weit entfernt. Das zeigt diese Grafik von Andrä Wolter (hier ein Link zu seinem Aufsatz von Oktober 2014). Die relevante Gruppe von Eltern für „studierende Kinder“ ist dort diejenige der 45-50-jährigen, und da haben wir einen Akademierungsgrad von knapp 30 Prozent, ich habe sie rot eingekreist.
Nicola Wessinghage greift lieber nach historischen Erklärungen, anstatt sich die – neue – Wirklichkeit zu betrachten: eine steile Kurve des Anwachsens von Abiturienten- und Studierendenzahlen. Dieser Zuwachs begann im deutschen Bildungssystem ca. 2011/2012.
Zu diesem Zeitpunkt explodierten die Studienberechtigungen, erstens, durch einen extrem hohen Zugang ins Abitur, und zweitens durch die doppelten Abiturjahrgänge, die sich aus der Verkürzung der Gymnasialzeit ergaben.
60 Prozent Studienberechtigte eines Jahrgangs! Das ist das Doppelte der Elterngeneration, von der Wessinghage schreibt. Das stellt ganz andere Bildungsfragen als jene, die Marco Maurer haben will. Es geht heute darum: Wie fördern wir die neuen Gymnasiasten? Wie kriegen wir die zweiten Wege zum Abi in Sekundarschulen reformiert? Was passiert mit der dualen Ausbildung? usw. usf.
Es findet gerade eine soziale Revolution der Zuteilung von Bildungschancen statt, in der Realität!
In den Köpfen aber ist dieser Wandel noch nicht angekommen. Das ist genau das, was ich an Marco Maurers Buch so kritikwürdig finde: er zeigt uns nicht die neue Realität. Er erzählt uns, noch einmal, die alte Ungerechtigkeits-Saga – aber es sind völlig neue Fakten auf dem Tisch. Die behandelt Maurer nicht gründlich, ja er erwähnt sie teilweise nicht einmal. Dass die Zahl der Abiturienten und der Studierenden steigt, das wollten alle: die OECD, die Eltern und die Industrie. Das sollten wir zur Kenntnis nehmen.
Update 2: Was bedeuten eigentlich Bildungstrichter? Der von 2009, der für Marco Maurer eine Art Pauluserlebnis war; und die anderen, die ich mal rausgesucht habe. Den von 2007 und den von 1982.
Der Bildungstrichter zeigt, wie viele von 100 Kindern in der Grundschule den Weg bis in die Hochschule schaffen. Das besondere ist, dass man die beiden Trichter nebeneinander stellt, den für Akademikerkinder und den für Arbeiterkinder. Das Verhältnis ist nicht gut, nicht fair. 1982 schafften 81 von 100 Kindern aus Akademikerhaushalten den Weg in die Hochschule – aber nur 11 von 100 aus Arbeiterhaushalten. 2007 war das Verhältnis 71 zu 19; 2009 liegt es bei 77 zu 23. Gerade läuft die neue Sozialerhebung; es wird interessant zu sehen, wie sich dieser wichtige Indikator für Chancengleichheit entwickeln wird. Mein These: Die Zahl der Arbeiterkinder, die es auf die Hochschule schafft, wird explodieren.
(überarbeitet 4.11.2016)
Sozialerhebung 1982
Marco Maurer hat inzwischen auf diesen Post geantwortet hat; die Redaktion von Zeit-Online gab dem Text allen Ernstes die Überschrift: „Bildungsrassismus ist überall„, gemeint ist: in Deutschland. Inzwischen heißt der Text „Bildungsdiskriminierung ist überall“.
1. Sind in den Zahlen für 2010 und 2012 die Doppeljahrgänge, die über G8 entstanden, herausgerechnet?
2. Wenn ja, was sagt ein Trend von 2-5 Jahren über eine allgemeine gesellschaftliche Situation?
Andererseits:
Wenn der Hochschulzugang seit Ende der 60er Jahre stark gestiegen ist, bedeutet das, dass jetzt viele Schüler, deren Eltern Arbeiterkinder waren, Akademikerkinder sind. Je größer die Zahl der Studienabschlüsse, desto geringer notgedrungen die Zahl der Arbeiterkinder in der kommenden Generation.
Allerdings, das ändert nichts daran, dass Migrantenkinder einen erschwerten Bildungszugang haben (übrigens auch die, deren Eltern einen akademischen Abschluss haben, wenn die Eltern nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten können). – Bei extrem aufopferungswilligen Eltern (wie im vietnamesischen Milieu öfter verbreitet) gilt das allerdings schon weniger.
Angesichts der wenig belastbaren Zahlen, die hier als Argumentationsbasis verwendet werden, sollte man wohl nicht so harsch formulieren.
Dabei bestreite ich nicht, dass ein Arbeiterkind aus den 70er Jahren aus einer völlig anderen Bildungssituation kommt als der heutigen. Aber die Einfühlung in die Situation heutiger Migrantenkinder hat es den meisten Akademikerkindern voraus.
Lieber Herr Böhme,
bitte sehen sie in der Quelle selber nach, ob die Jahrgänge rausgerechnet sind, denn Link gibt es ja. Das ändert nichts an meinem Punkt: Wir haben, ganz frisch, völlig neue und grundstürzende zahlen, die kann man nicht weglassen. Ich argumentiere ja nicht mit 1960/70 wie sie und der Autor, ich zeige auf die 2010er Jahre. Sie haben übrigens eine interessante Akzentverschiebung: Maurer spricht über Arbeiterkinder – und im Buch immer auch sehr berührend über Zuwanderer in Wollkommensklassen -, aber diese Zuwanderer sind nicht das systemische Argument. Das fußt quasi allein auf der Reform des gegliederten Schulsystems – und da sind wir mitten drin. Mit vielen vielen Problemen, die aber nicht angetönt werden. Egal, lesen sie Maurers Buch einfach mal, es ist sehr interessant!
1. Laut der aktuellen 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW) nehmen von 100 Akademikerkindern 77 ein Studium auf. Dagegen studieren von 100 Nicht-Akademikerkindern lediglich 23 obwohl doppelt so viele die Hochschulreife erreichen.
2. Sie sollten sich dringend die Übergangsquoten nach dem Abitur mal genauer angucken. Nach dem Abitur (oder einer vergleichbaren Qualifikation) gehen nur ca. 50% der Jugendlichen aus Nichtakademischen Familien auf eine Hochschule. Aus Akademischen Familien sind es fast 90%.
Können sie mir diesen Unterschied bei der Übergangsquote halbwegs sinnvoll erklären?
Der generelle Anstieg von Hochschulzugangsberechtigungen zeigt nämlich lediglich eine grundsätzliche Erhöhung der Bildungsbeteiligung an. Mehr nicht.
Erst beim Betrachten der Übergangsquoten wird die Bildungsungerechtigkeit deutlich.
Danke für den Hinweis auf die 20. Sozialerhebung. Die neuen Zahlen können sich da noch nicht abbilden, weil die Explosion im Studienzugang mit dem Herbstsemester 2012 beginnt – da war die Erhebung bereits im Kasten.
Im übrigen zeichnen sich, wenn sie sich mal die Mühe machten und die Sozialerhebungen 15ff anschauten, die steigenden Zugänge aus der niedrigen Herkunftsgruppe deutlich ab: im Jahr 2003 waren es acht Prozent, in 2012 sind es bereits 23 Prozent – und diese Zahl bezieht sich auf das Jahr 2009. Da tut sich was, auch wenn es nicht jeder Bildungsforscher sehen mag. Dafür sind wir Journalisten da: wake up call!
Ich glaube, dass hier „Akademisierung“ und „Aufstieg in die Mitte“ etwas vorschnell kurzgeschlossen werden.
— Maurer geht es m.E. im Kern um das alte Versprechen des „sozialdemokratischen 20. Jahrhunderts“ (Dahrendorf 1983). Er fordert es weiter ein. Dieses Versprechen entpuppte sich de facto seit den 1980er Jahren als ein „Zweidrittelgesellschaft“-Versprechen. Der Begriff „Zweidrittelgesellschaft“ als Projektion in die Zukunft stammt von Peter Glotz aus den 1980ern
— Dagegen wendet sich Maurer, und m.E. tut er das zu Recht. Maurer geht es im Kern um die Distanzierung der „unteren Schichten“, die nicht zur „Mitte“ zählen.
— Zu den „unteren“ Schichten gehören in der „Mittelschicht-Gesellschaft“ seit ca. 1960 a. 66% – 70%: siehe bereits die „Bolte-Zwiebel“ von Anfang der 1960er Jahre.
— Das Maurer-Thema ist der Aufstieg aus den „unteren Schichten“ zur „Mitte“. Das drückt sich auch, aber nicht in erster Linie in den Studierenden-Zahlen aus.
— Seit 1980ern Schließung und Trend zur Zweidrittelgesellschaft (Peter Glotz): „Unterschicht“ aus 20% Distanzierten (v.a. natürlich auch „Immigratonshintergrund“) und zusätzlich 10% Prekarisierte am Übergang zur (materiellen) Mittelschicht a.k.a. „Modernisierungsverlierer“
Diese Prozentzahl von Ausgeschlossenen (ausgeschlossen von materiellem Aufstieg und Höherer Bildung) bleibt konstant. In dieser Hinsicht hat sich strukturell nichts Wesentliches geändert gegenüber 1960.
— (These:) Nur und vor allem in den Jahren nach 1970 gabe es eine signifikante Öffnung der akademischen Bildung hin zur „Unterschicht“ (damals eben „Arbeiterkinder“ genannt).
Die ganzen Bildung/Aufstieg-Auseinandersetzung dreht sich eigentlich um den „Aufstieg in die Mitte“. Seit 2012 haben wir einen Zustand erreicht, in dem quasi „alle studieren“. Aber „alle“ bezieht sich auf: alle, die zur „Mitte zählen“, NICHT auf die „Unterschicht“. Die Mittelschicht hat sich also in ihrem Inneren immer mehr nivelliert.
Lieber Martin,
ich weiss nicht, wieso du schreibst „meines Erachtens“ gehe es Maurer darum oder „das Maurer-Thema“ sei dies und jenes. Du musst ihn nicht interpretieren, sondern einfach nur lesen. Das macht den Diskurs viel leichter. Maurers erstes und Hauptthema sind NICHT die Unterschichten, sd jene, deren Aufstiegserzählungen er rapportiert, die sind allesamt nicht Unterschicht, sd Kinder von Facharbeitern, also Pinar Atalay, Cem Özdemir, Steinmeier, Grube usw. Für diese Gruppen ist der Aufstieg durch Bildung bis heute viel viel viel einfacher geworden, und zwar in zwei Phasen: 1) durch den beharrlichen Anstieg der Zahlen von Gymnasiasten und Hochschülern aus Facharbeiterfamilien (auch aus den Bildungstrichtern ablesbar) im Laufe der Zeit – und 2) durch den beinahe explosiven Zuwachs durch verbreiterten Abi-Zugang auf vielen Wegen seit 2012; dieser Zuwachs wird hier von niemandem gesehen oder argumentativ integriert – schon gar nicht von Maurer, der sich
kitschigdie Kennziffern „77 von Hundert Akademikerkindern kommen auf die Hochschule“ und „23 von 100 Arbeiterkindern“ aus der 20. Sozialerhebung nimmt – und darin sein Leben erkennt. (Guck übrigens mal genauer hin, wie sich die Gruppe der Arbeiterkinder auf dem Weg zum Abi zusammen setzt; da kann man schon viel erkennen, vor allem für Bayerns Fos/Bos-Entwicklung ist das hoch interessant.)Ich sage übrigens nicht, dass die Bildungsrepublik wg der Kennziffer „60 Prozent eines Jahrgangs erwerben die HS-Zugangsberechtigung“ plötzlich über Nacht gerecht wäre. Das ist nicht so, und warum sollte ausgerechnet ich, der seit 2001 beharrlich auf den Ungleichheit-durch-Bildung-Skandal aufmerksam macht, plötzlich eine Kehrtwende vollführen?
Ich finde es aber wichtig, darauf hinzuwiesen, dass sich durch die 60-Prozent-Marke neue Fragen stellen, also Studium, duale Ausbildung, Sekundarschulen etc, insbesondere auch die Cluster von Bildungsarmut zu knacken oder die so genannten „Willkommensklassen“ funktionsfähig zu machen. Das muss man m.E. aber unbedingt tun, sonst ist man einfach nicht glaubwürdig! (Zu Willkommensklassen hat Maurer übrigens eine längere und sehr berührende Passage – allerdings auch eine ratlose und düstere. Man weiss da gar nicht, wo er eigentlich hin will.)
Ich verstehe daher überhaupt nicht, wie man die alte Drehorgel „Chancengleichheit“ (übrigens übernimmt Mauer dort den Begriff „Bildungsgerechtigkeit“ der Konservativen, und für die ist Bildungsgerechtigkeit, wenn 10 Prozent Abi machen; sehr seltsam), wie man also diese Drehorgel unbeirrt weiter drehen kann – obwohl sich seit 2012 eine vollkommen neue Lage ergibt.
Ich verwechsle dabei übrigens nicht „Aufstieg“ mit „Akademisierung“, ich weise nur auf den extrem wichtigen Parameter „60“ hin – der übrigens in der 20. Sozialerhebung noch gar nicht erfasst ist. Wenn sich zwischen 1993 und 2009 der Anteil der Studierenden unter den „Arbeiterkindern“ (niedrige Herkunftsgruppe“) von acht auf 23/24 Prozent eines Arbeiterjahrgangs erhöhte, dann bin ich mal gespannt, wie der Anteil steigt, wenn 60 Prozent eines Jahrgangs Abi machen. Das ist ein extrem wichtiger Parameter – aber natürlich noch kein Versprechen auf Aufstieg. Klar.
Ich hoffe, Du hast nun genug Stoff, um dein Buch fertig zu schreiben. Ich freue mich auf kluge Vorschläge zur Auflösung des Bildungsarmutskerns von 20 Prozent. But this, martin, is another story than Maurers, by the way.
Best, Christian
P.S. Und nochwas: Es tut mir echt leid, dass ich schon wieder in der Klartext-Sprache eines ungebildeten und frechen Arbeiterjungen mit Euch Superduper-Koryphäen spreche und euch meine dreckigen Fingernägel zeige. Georg Picht zieht ja schon seit vielen Monaten seine buschigen Augenbrauen hoch, weil ich ihm immer wieder paar unangenehme Fakten zu laut sagte. Das tut mir aufrichtig leid!
Das Problem der immer noch sehr geringen Übergangsquote zum Studium bei AbiturientInnen aus Nichtakademikerfamilien (oft zusätzlich mit sog. Migrationshintergrund) muss man praktisch angehen über eine verpflichtende Einführung bzw. Systematisierung von Studien- und Berufsorientierung an Schulen mit Sek II, vor allem an Gymnasien. Dabei müssen alle Akteure in diesem Bereich angesprochen werden, auch die Eltern. Die Adressaten müssen eine individuelle und prozessorientierte Beratung erhalten, Orientierung muss am besten von der Früherziehung bis zum Abitur laufen. Dabei dürfen nicht nur die schultypischen Kompetenzen im Blick stehen, Potenziale müssen ganzheitlich erfasst und gefördert werden. Letztlich muss sich dafür Schule grundsätzlich ändern und Lernen neu verstanden werden. Zusätzlich muss das Bildungssystem geöffnet werden im Sinne von parallelen Bildungswegen. Es gibt viel zu tun. Wir sollten also nicht zuviel Zeit mit Statistikfetischisierung vertun. 🙂
„Mich, Arbeiterkind, gibt es nicht mehr auf der Hauptschule“ – könnte das mit der fast flächendeckenden Abschaffung der Hauptschule zu tun haben?
Daß immer mehr Schüler das Abitur machen hängt jedenfalls mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit den heute niedrigeren Anforderungen zusammen, mit denen dann Unsereins in mannigfacher Erscheinungsform im Studium konfrontiert ist: Studenten haben Schwierigkeiten, vollständige Sätze zu bilden, einfache Wörter richtig zu schreiben, Inhalte zu strukturieren; und das sind keine Einzelfälle!
Ob das ein Weg zu mehr Bildungsgerechtigkeit ist?
Was ist besser: Geringes Einkommen und Studienabschluss oder hohes Einkommen und Berufsabschluss?