Johanna Wanka und Sofatutor geben Meinungsumfragen zur Digitalisierung der Bildung verzerrt und einseitig wieder

Trau´ keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. Den Spruch kennt man, und er gilt abgewandelt auch für zwei aktuelle Umfragen zu digitalem Lernen.

Das Bildungsministerium des Bundes ließ eine repräsentative Umfrage zu digitalem Lernen anfertigen. Das Ergebnis wird dann so dargestellt: 86 Prozent der Bürger wollten „den Umgang mit digitalen Technologien auch in der Schul- und Berufsbildung verankern“, zwei Drittel sähen eher Chancen als Risiken und 72 Prozent dächten, dass die Gesellschaft so innovationsfähiger werde.

Diese Zahlen werden prominent auf der Seite „Zukunft verstehen“ des Ministeriums als Ergebnisse herausgehoben. 

Nur aber wer die ganze Studie ansieht, erfährt nun Folgendes:

  • zwei Drittel der Bürger befürchten, dass die Wirtschaft in Zukunft Einfluss auf Lerninhalte und -prozesse haben werde
    ZukunftsMonitor III „Lehren, Lernen und Leben in der digitalen Welt“. BMBF
    ZukunftsMonitor III
    „Lehren, Lernen und Leben in der digitalen Welt“. BMBF
  • eine knappe Mehrheit (48 Prozent) ist dagegen, dass schon Kleinkinder den Umgang mit digitalen Technologien lernen
  • nur ein Drittel erwartet sich mehr Gerechtigkeit durch digitale Technologien – 58 Prozent stimmen dem nicht zu
  • 71 Prozent glauben, dass Digitales in der Schule die Gesellschaft noch abhängiger von digitaler Technologie machen werden

Die wichtigsten Risiken und Nebenwirkungen digitaler Technologien für Kinder wie Sucht oder Cybergrooming werden gar nicht erst abgefragt

bildschirmfoto-2016-10-20-um-23-43-39Die Wahrheit liegt da nicht irgendwo zwischen euphorischer Zustimmung und nervösen Hinweisen. Selbst bei freundlich-suggestiv gestellten Fragen finden sich in der Bevölkerung offenbar große Sorgen, wie die Lektüre der ganzen Studie zeigt. Die großen Risiken digitaler Technologien für Kinder und Jugendliche wie Sucht, Datenschutz, Cybergrooming und -mobbing hat die Umfrage gar nicht erst angesprochen. Und das obwohl der Bundestag ein aufwändiges Gutachtens dazu erstellen ließ. Immerhin finden sich in der Pressemitteilung auch einige der negativen Meinungen der Bürger wieder. 

 

14 bis 30 Prozent der befragten Sofatutor-Nutzer sind ganz oder teilweise dafür, „die Nutzung digitaler Medien an Schulen außerhalb des Unterrichts und ohne Erlaubnis der Lehrkräfte zu verbieten“

Ähnlich macht es Sofatutor mit einer Umfrage. Der Marktführer beim digitalen Lernen hat eine Umfrage unter 1.350 Lehrern erstellt. Die wichtigsten Ergebnisse, die Sofatutor präsentiert:

  1. Neun von zehn Lehrern fänden, dass Technik&Lernen mittels digitaler Medien wichtige Bestandteile von Bildung im 21. Jahrhundert sind. bildschirmfoto-2016-10-20-um-23-52-41
  2. 50 Prozent der Pädagogen wollten die fünf Milliarden des DigitalPakts von Bildungsministerin Wanka für Medienkonzepte, digitale Unterrichtsmaterialien und Wlan-Infrastruktur ausgeben bildschirmfoto-2016-10-20-um-23-53-00

Das ist – freundlich gesagt – eine kreative Interpretation der Ergebnisse.

Angaben zu Repräsentativität werden nicht gemacht. Aber es wird sehr wohl Allgemeingültigkeit suggeriert – etwa mit dem Satz: „Die Mehrheit der Lehrer/innen stimmen den Maßnahmen des Digitalpakts #D zu“. Dass teilweise ein Viertel der Befragten keine Antwort gab, wird gar nicht erst berichtet.  

Pisaversteher konnte nicht herausfinden, woher die 90 Prozent Zustimmer kommen. Sofatutor hatte freundlicherweise Fragen und Antworten der Umfrage zur Verfügung gestellt. Am ehesten vielleicht von hier?

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Auf die Frage antworteten allerdings nur 39 Prozent mit „stimme voll zu“. Den Rest müssen die Sofatutoren auf der Skala von 1 „stimme voll zu“ bis 10 „stimme überhaupt nicht zu“ eher mühsam zusammen addieren. 

Bemerkenswert ist ein anderes Ergebnis: fast 14 Prozent der Lehrer stimmen „voll und ganz“ für Verbote digitaler Technologien in der Schule und insgesamt 30 Prozent favorisieren diese Aussage stark oder neigen ihr eher zu. (28,3 Prozent stimmen dem überhaupt nicht zu.) bildschirmfoto-2016-10-21-um-07-46-03

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Interessant ist auch, dass die Lehrer geradezu zerrissen sind bei der Frage nach den Konzentrationsschwächen, die sich bei Schülern ergeben könnten. Sofatutor berichtet, ein Drittel der Lehrer fürchte das. Tatsächlich halten sich die Befürworter und die Ablehner dieser Aussage die Waage.

Die Umfrage wurde wie folgt durchgeführt: Sofatutor machte ein Mailing an 1.350 LehrerInnen. Dabei habe es sich überwiegend um Lehrer gehandelt, teilte eine Sprecherin mit, „die unsere Produkte nutzen“. Das bedeutet: Selbst Lehrer, die digitalen Medien gewogen sind, befürchten in großer Zahl Konzentrationsschwächen.

Und selbst bei der Leitfrage – Was soll mit den fünf Milliarden von Frau Wanka gemacht werden? – haben die Interpreten der Studie eigenwillig zusammen gezählt. Ein Viertel der befragten Lehrer ist dafür, mit dem Geld die Schulen zu sanieren. Das wäre im Ranking der Aussagen immerhin Platz 2.  

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Kurz gesagt: Die Macher der beiden Studien wollten wissen, wie groß die Affinität in der Bevölkerung für ihre Politik bzw. wie groß sie unter Lehrern für ihre Produkte ist. Was dabei heraus kommt, wirft mindestens Fragen auf.

Großer Rückhalt für Digitalisierung sieht anders aus – in der Bevölkerung und selbst unter interessierten Lehrern

Aber das wollten Frau Wanka und Sofatutor nicht herausheben. Sie richteten die Scheinwerfer lieber auf die Optimisten der Digitalisierung. bildschirmfoto-2016-10-21-um-07-10-29

Erst wer aber weiß, wie ambivalent die Menschen der Digitalisierung gegenüber stehen, ahnt warum Bundesregierung und Industrie beim nationalen IT-Gipfel so auf die Pauke hauen wollen. Es geht darum, Stimmung für die Digitalisierung der Bildung zu machen. Zögern und Zweifeln ist am 16. und 17. November nicht angesagt. Das Programm strotzt nur so von Propaganda.