Das digitale Lernen muss ins analoge Schulsystem. Das ist aber nicht so einfach – wie die Didacta zeigte. Der Digitalpakt#D wird noch Jahre brauchen
Das WLan auf der Bildungs-Messe Didacta ist sündhaft teuer. Trotzdem ist es nicht zuverlässig genug, um damit ein Podium ins Netz streamen zu können. Also musste jemand für das erste DigiQuartett ein Kamerastativ bauen, damit man das Gespräch über den digitalen Kulturwandel der Schule wenigstens für ein Youtube-Video aufnehmen konnte. Daraus wurde ein kleines Wunder auf der größten Bildungsmesse der Welt. Denn der Erzieher und Programmierer Mark Bo von Hippomini bastelte in einer Stunde aus Karton und Plasteschrauben, Pinseln und Farben eine stabile Kamerahalterung – und bestückte sie mit einem leistungsfähigen Mikro, einem Smartphone usw. Bo hätte die Gerätschaft auch so programmieren können, dass sie vor den DiskutantInnen hin und her fährt. Der Kamera-Roboter hätte sich sogar in einen Talk-Roboter verwandeln lassen – der die Debatte kommentiert.
Text vom 25. Februar mit laufenden Aktualisierungen bei JeKI (jedem Kind ein Instrument) und Föderalismus/Kooperationsverbot.

Die kleine Szene ist ein Symbol für den digitalen Wandel in den Schulen, vielleicht der ganzen Bundesrepublik. Alle reden über die neue digitale Kultur, also eine responsive, kreative und kritische Teilgeberkultur. Aber die Institutionen (wie etwa der global player Deutsche Messe) sind nicht in der Lage, die Digitalisierung zuverlässig und zu einem annehmbaren Preis voranzutreiben. Das DigiQuartett (das Pisaversteher mit Eduvation veranstaltete) diskutierte diese Themen mit Toni Borek von Haba Digitalwerkstätten, Annemieke Frank von den Eduheroes und der Bundestagsabgeordneten Saskia Esken (SPD). Man kann es hier sehen, bald wird auch das wackelfreie Youtube-Video dazu veröffentlicht.
— christian füller (@ciffi) February 23, 2018

Man muss weiter in Bildern sprechen, um zu verstehen, wie viel Missverständnis und Ungleichzeitigkeit im Spiel ist. Vor allem die Menschen sind noch nicht so weit, für sie ist das Internet vielleicht kein Neuland mehr, aber die Transformation ist ganz sicher noch eine terra incognita für sie. Beispielsweise kommen die beiden wichtigsten sozialen Gruppen einer transformativen Digitalisierung von Schule und Lernen noch nicht zusammen: hier die LehrerInnen und da die Start-ups, die Bildungsunternehmer und Disruptiven. Obwohl sich beide Gruppen im Start-up-Valley von Eduvation, wo rund 50 junge Entrepreneurs ihre Ideen und Lernmaterialien vorführten, schon ziemlich nahe kamen. Das hatte freilich einen ironischen Grund: Andre, den besten Barrista der Messe. Der bereitete Cappuccino und Flat White im Start-up Valley bei Eduvation, und so zwängten sich die LehrerInnen mit ihren teils riesigen Rollkoffern und ihren ausladenden bunten Tüten buchstäblich durch die Start-ups durch. Sie erholten sich mit Andres Kaffeeköstlichkeiten von der Messe, gewissermaßen im Auge des Orkans – aber oft ohne die Start-up-Ideen um sie herum zu beachten oder gar kennen zu lernen.
Ohne Mut und Muße
Das ist übrigens nicht despektierlich gegen die LehrerInnen gemeint. Denn die können die kleinen Roboter von Robo Wunderkind oder den Science-Koffer von Sensebox noch gar nicht verstehen. Dazu fehlen ihnen vermittelnde Erklärer, auch ein wenig der Mut und die Neugier und die Muße im Orkan der Giga-Gaga-Messe.
Dabei gab es im Valley reihenweise niedrigschwellige Angebote, wie man so schön sagt: Zum Beispiel hätten die Lehrer andocken können bei Tutory, wo sie sich ihre Arbeitsblätter künftig selber basteln könnten.

Bei Teachersimpact konnten sie testen, ob sie sich eigentlich noch wohl fühlen in ihrer Pädagogenrolle. Sie konnten bei Kapitänin Portcrash sehen, wie nahe die musikalische Früherziehung mit digitalen Elementen ihrem Lernalltag ist. „Kinder wollen das Buch über Portcrash nicht mehr hergeben, wenn man ihnen daraus vorliest“, beschrieb die wunderbare Maike Niemeier den analogen Anteil ihres Konzepts. (Es ist wirklich ein schönes Buch, und es zeigt die große Kraft des Narrativs.) Oder die LehrerInnen hätten bei Fabian Sennholz von 6k-united ihre Klasse für ein – total analoges – Konzertevent anmelden können.
Fabian Sennholz von #6kunited: Wieso machen Sie ein Start-up, das nicht skalierbar ist und keine Exit-Strategie hat? https://t.co/zDAMR3PirV
— christian füller (@ciffi) February 23, 2018
Das ist insofern etwas Neues und Co-Konstruktives, weil die Schüler zu Teilhabern werden, wenn sie das große Konzert geben. Denn ohne ihre Stimme wird kein Konzert und entsteht keine Begeisterung. Die Lehrer enthalten ihren Kindern sozusagen vor, dass Musik und Emotionalität die Hirnhälften der Kinder verbinden und ihr Sprachvermögen besser wird. (Kein Witz, eine Forscherin, die am Stand von 6k-united war, hat diesen Zusammenhang wissenschaftlich fundiert im Projekt Amsel nachgewiesen. Wer in der Grundschule guten Musikunterricht mit viel Singen erlebt, der ist kompetenter, gelassener und glücklicher.

Nadine Günderts Untersuchung ist somit der erste Beweis dafür, dass die Pisastudie musische Fächer nicht etwa verdrängen muss, sondern man mit ihr im Gegenteil deren besondere Notwendigkeit begründen kann. Die Kompetenzwerte, die musizierende Kinder erreichen, sind eine kleine Sensation – im Vergleich zum Leistungsvermögen von Schülern ohne Musikpraxis. Man fragt sich, warum das BMBF diese Daten auf seiner Homepage quasi versteckt.)
Wenn man bedenkt, welch´ verheerende Auswirkung das Ganztagsschulprogramm auf die Schulverfassung der Republik hatte, weiß man nicht recht, ob man den Digitalpakt gut finden soll.
Das Noch-nicht-Verständnis ist freilich beidseitig. Denn auch die Start-ups verstehen nicht alle das System Schule. Das konnte man an dem DigiQuartett Podium sehen. Es war nicht vermittelbar, was der Digitalpakt#D eigentlich ist. Und das lag nicht an Saskia Esken, die ihn in– und auswendig kennt. Eine Bund-Länder-Vereinbarung kann man an normale Menschen quasi nicht vermitteln, denn sie ist derart bürokratisch, komplex und wirklichkeitsfremd, dass sie jede praktische oder intellektuelle Teilhabe verunmöglicht. Das verflochtene föderale System lässt sich buchstäblich nicht durchschauen, und man kann ja auch gar kein Geld von den fünf Milliarden Euro beantragen, die in dem Digitalpakt drinstecken. Saskia Esken schüttelte immer wieder mit dem Kopf. Wahrscheinlich, weil ihr es als Repräsentantin dieses Systems peinlich war, wie hermetisch es ist.
Föderalismus ist bürgerunfreundlich
Denn Föderalismus und sein Kooperationsverbot sind per se bürgerunfreundlich, obwohl die Kulturhoheit der Länder doch eigentlich die großen Schulsysteme angeblich näher an die Bürger bringt. Wie soll man Eltern aber erklären, dass der erste große Bund-Länder-Pakt – das Ganztagsschulprogramm unter Edelgard Bullmann und Gerhard Schröder – einerseits total erfolgreich war (es schaffte de facto den Sonderfall Halbtagsschule ab), andererseits aber dazu führte, dass die Union tief verärgert das Kooperationsverbot erfand einführte? Wenn man bedenkt, welch´ verheerende Auswirkung das Ganztagsschulprogramm damit auf die Schulverfassung der Republik hatte, weiß man nicht recht, ob man den Digitalpakt gut finden soll. (Recht eigentlich gibt es ihn ja auch noch nicht, er steht bisher nur im Koalitionsvertrag.)
Na klar, das Schulsystem ist immobil. Wie auch anders! Es muss den Nachwuchs eines Landes mit 80 Millionen Einwohnern bilden, es existiert in seiner (verkrusteten) Grundstruktur seit fast über 200 Jahren und es ist nun einmal föderal. Einfach zu sagen „Hoppla, jetzt kommen wir! Die alte Schule muss sterben!“ ist einfach nicht genug. Die Geschwindigkeit des Neuen und das Beharrungsvermögen des Alten erzeugt in dieser Situation notwendig Ungleichzeitigkeiten – und Nervosität.
Die Debatte über Kooperationsverbot, Digitalpakt#D und die Kommunen nimmt gerade Fahrt auf. Ebenfalls auf der Didacta gab es einen Talk über die Tatsache, dass die Finanzierung von Endgeräten wie Tablets gar nicht Gegenstand des Digitalpakts sind. Kaum war das Podium mit Martin Rist u.a. beendet, flatterte die Entscheidung eines Hannoveraner Sozialgerichts ins Haus. Danach muss der Staat Schülern, die es sich nicht leisten können, ein Tablet aus dem Hartz-IV-Budget bezahlen. Und in NRW hat man nun bemerkt, wie kompliziert es ist, die Bundesmilliarden an die s.g. Sachaufwandsträger (=Kommunen) zu kanalisieren. Prompt forderte die dortige Bildungsministerin, das Kooperationsverbot weiter zu schleifen.
Um es knapp zu sagen: es kann Jahre dauern, bis der Digitalpakt in beantragungsfähige Portionen ausverhandelt ist.
Multiple Transformation
Man muss an dieser Stelle vielleicht noch ein paar Sätze über Transformation verlieren. In der Tat befindet sich das Schulsystem bereits seit der Pisastudie in einem ziemlich umfassenden Wandel. Wenn man so will, wird das im Jahr 1788 mit dem Abiturexamen in Preußen erstmals fixierte Schulsystem heute, also 250 Jahre danach, in ein wesentlich zweigliedriges transformiert. Diese Entwicklung ist keineswegs an ihrem Ende angekommen oder gar perfekt gestaltet worden. Aber: sie ist in meinen Augen unumkehrbar. Interessant ist nun, dass die digitale Revolution diesen – tiefgreifenden und für die Lehrer belastenden – Prozess überlagern und weiter verkomplizieren wird. Wir stehen sozusagen vor einer multiplen Transformation. Ich glaube nicht, dass das aufzuhalten ist. Im Moment lässt sich nur schwer beschreiben, was die Digitalisierung mit der Schule ganz genau macht: wird sie die Schule, wie wir sie kennen, einfach hinwegfegen? Oder werden Tablets, Blogs etc. und die mit ihnen verbundene Kultur gewissermaßen ins Schulsystem eingepflegt?
Wer keinen Ersatz für ein System mit fast zehn Millionen Insassen hat, das nach Update und Neustart wieder binnen weniger Wochen läuft, der möge leiser kritisieren und lauter nachdenken.
Das herrschende Schulsystem hat übrigens bewiesen, dass es Schule kann. Es bringt Kindern etwas bei, vergibt Zertifikate und ist (halbwegs) zuverlässig – für neun Millionen SchülerInnen. Das funktioniert, siehe Pisa und Vera, nicht immer perfekt, und die Start-ups können vieles zum Teil schon besser, kreativer und mit viel mehr Spaß. Aber eben mit viel viel kleineren Teilnehmerzahlen und ohne die Vergabe von Abschlüssen wie das heißgeliebte Abitur. Das klingt jetzt nach Spaßverderben. Nur muss man sich im Klaren sein: wer keinen Ersatz für ein System mit fast zehn Millionen Insassen hat, das nach Update und Neustart wieder binnen weniger Wochen (den Schulferien) voll funktionsfähig ist, der möge leiser kritisieren und lauter nachdenken.