Die Wochen vor dem so genannten „lockdown light“ waren geprägt von einer strikten Abwehrhaltung der Kultusminister. Sie wollten, wofür es prinzipiell Gründe gibt, die Schulen so lange wie möglich offen halten. Dass man dafür den Grenzwert für Corona-Neuinfektionen auf 200 hochsetzte, hat in der Lehrerschaft verheerende Auswirkungen gehabt. Das drückt am besten Silke Müller im Interview hier unten (Verantwortungslose Kultusminister) aus. Und sie stellt eine Frage, die meines Erachtens – neben dem Pädagogischen – die Schlüsselfrage ist: warum gibt man Milliarden für digitale Bildung aus – und verbietet sie dann de facto? Und de jure.

Außerdem hier in der Sammlung von Texten: Lernvideos für Schulen von Sofatutor, die Blamage des Forum Bildung Digitalisierung, die Meinung der Schulleiter, eine Gebrauchsanweisung für hybrides Lernen, das überraschend schnelle Wachstum der Schulclouds, die Clouds im Norden und die Bedeutung neuer Prüfungsformate. Für den Tagesspiegel Background Digitalisierung & KI habe ich mir u.a. den Absturz von Mebis in Bayern angesehen.

Interview mit Simone Fleischmann

Die BLLV-Präsidentin hat schon früh in der SZ darum gebeten, den Lehrer*innen Ressourcen für mögliche Schulschließungen zu geben:

Wieso beherrschen Lehrer und Lehrerinnen hybrides Lernen noch nicht?

Weil wir an Digitalisierung nicht aufholen können, was wir alle zusammen, Politik, Gesellschaft und Pädagogik, zehn Jahre lang verschlafen haben. Ja, wir Lehrer können heute Kommunikation mit allen Schülern herstellen. Nein, ein neues perfektes Modell von Fernlernen oder hybridem Lernen können noch nicht alle Lehrer beherrschen.

Simone Fleischmann

WLan-Ausfall bei Tech-Stiftungen

Ein Bericht über das Forum Bildung Digitalisierung, das online tagte – und prompt die selben Schwächen wie die KMK-Schule zeigte: am zweiten Konferenztag fiel der Stream von der Hauptbühne aus. Spannende Gäste: Michael Pallesche, Saraya Gomis, Dorothee Bär. Zitat der Veranstaltung:

„Digitalisierung kann die grundsätzlichen Probleme von Bildungsgerechtigkeit nicht lösen.“

Saraya Gomis
Forum Bildung zeigt Streamausfall an

Sofatutor hat 10.000 Lernvideos

Ein Porträt von Sofatutor, einem Start up, das seit über 10 Jahren digitale Bildung ermöglicht, jedenfalls ein wichtiges Format dafür bereit hält: Lernvideos. Da schau her, ein Besuch in den Hollywood-Studios der Erklärvideos bei Gründer Stephan Bayer, Süddeutsche vom 29. November.

Sollte es wieder zur Schließung von Schulen kommen, könnte Sofatutor mit anderen Anbietern wie „Bettermarks“, „Anton“ oder „Simple-Club“ den Unterricht in den Schulen ersetzen.

Schulleiter: KMK „unterwandert Bildungsauftrag“

Die wichtigsten Akteure, die für Gesundheit und Bildung zuständig sind, stellen m.E. im Moment die Schulleiter dar. Ich habe mit Rektoren aus ganz Deutschland gesprochen, die fast unisono eine Entfremdung zwischen Schulministern und Schulen feststellen. Tagesspiegel am 2. Dezember

„Hybrid bedeutet, dass Präsenz- und Distanzunterricht miteinander verbunden sind. Es bedeutet nicht doppelte Arbeit für Lehrkräfte und halben Unterricht für Schülerinnen und Schüler“.

Wanda Klee

Schulcloud: schneller als Tiktok

Eine Analyse, dass Deutschlands Schulen bei der Digitalisierung seit März rasend schnell aufgeholt haben – was die Technik anlangt. Die Zuwachsraten bei Zugängen zu Schulclouds sind größer als die von Tiktok in Deutschland, T-online vom 8. Dezember

Binnen drei Monaten ist die Anbindung der Schulen an Clouds und Lernplattformen um 150 Prozent gestiegen – nicht mal die am stärksten wachsende App unter Jugendlichen, Tiktok, wächst so schnell in Deutschland

Wie geht hybrides Lernen?

Kurz vor Weihnachten beschlossen die Kultusminister gar nix, aber die Ministerpräsidenten, dass sie die Schulen schließen wollen. In der Süddeutschen habe ich dazu eine Gebrauchsanweisung zum hybriden Lernen in 9 Punkten verfasst. Süddeutsche am 15. Dezember

3 Was ist und wie sieht gutes hybrides Lernen aus?

Dabei wird Lernen neu sortiert. „Es geht darum zu entscheiden, was über Instruktion durch Lehrer passieren muss – und was Schüler allein erarbeiten können“, erklärt Wanda Klee, Schulleiterin des Westfalen-Kollegs in Dortmund. „Feedback und Hilfestellung werden neu organisiert. Digitale Tools können dabei sehr hilfreich sein und die Kooperationsmöglichkeiten erweitern.“ Konkret: Schüler bekommen via Lernplattform oder Messenger Aufgaben – und Zeit. Danach wird die Videokonferenz (oder auch die Präsenzphase in der Klasse) genutzt, um die Arbeiten zu besprechen. Selbst Hausaufgaben sind andere als zu Zeiten der Feuerzangenbowle. Digitale Aufgaben, gern „Challenges“ genannt, gehen nicht wie Klausuren mit Lehrerobservation. Sie heißen jetzt Podcasts, Videos, Sketchnotes oder „Padlets“ – das sind Portfolios von Schülerarbeiten im Netz.

Silke Müller: Verantwortungslose Kultusminister

Im Interview erzählt die Leiterin der Waldschule Hatten, wie sehr die Negierung des Inzidenzwertes durch die Kultusminister die pädagogische Arbeit von Lehrern as absurdum führt. GEW-Homepage am 17. Dezember:

Wozu aber hat man zum Beispiel im Sommer 500 Millionen Euro Soforthilfe für Endgeräte von Schülern investiert, wenn man vom Distanzlernen nichts mehr wissen will? 

Müller hat auch eine andere Auffassung von Chancengleichheit als die Kultusminister

„Chancengleichheit ist ein hohes Ziel. Aber die Gesundheit der Schüler und Lehrer doch auch! Ich trage als Schulleiterin die volle konkrete Verantwortung – für beide.“

Silke Müller

Lehre2.0: gut für wenige, schlecht für viele

Für das DSW-Journal der Studentenwerke durfte ich eine große Recherche über die Videokonferenz-Uni machen. Zwei Dinge sind mir besonders aufgefallen: 1) Neue digitale Helden wie Alexander Lasch von der TU Dresden 2) Ein ganzes Bündel von Studien und Studierenden-Befragungen zeigt: den Studis gehts teilweise richtig dreckig mit der Online-Hochschule. 

ad 1:

„Wir schaffen es durch die digitalen Tools, uns von den 90 Minuten Präsenz an einem Ort zu lösen“, meint der Linguist und Sprachhistoriker Lasch. „Dadurch wird die Diskussion sehr viel gehaltvoller, in- tensiver und für die Studierenden abwechslungsrei- cher als im Seminar.“

Alexander Lasch

ad 2:

Schulcloud an der Küste: Aschenputtel Iserv

Eine genauere Betrachtung der Schulclouds im Norden zeigt, dass Aschenputtel IServ die zum Teil teuer subventionierten Prinzessinen-Wolken abhängt. Iserv ist weit vor itslearning, HPI-Schulcloud und sogar Moodle Tageszeitung Nord, 19. Dezember

Andere Prüfungsformate:

Im Interview im Tagesspiegel am 21. Dezember erläutert die Grundschulpädagogin Uta Hauck-Thum, warum die Lernplattform „Mebis“ nicht mehr zeitgemäß ist und warum es unbedingt neuer Prüfungsformate bedarf:

Wir können ja pandemiebedingt im Moment gar nicht alle Kinder in einem Raum versammeln, um ihnen identische Fragen zu stellen. Das heißt, wir müssen umdenken. Wir brauchen jetzt einen prozessorientierten Leistungsbegriff, der dem individuellen Lernfortschritt jedes einzelnen Kindes gerecht wird.

Uta Hauck-Thum

Krieg der Wolken

Die größte und beste Moodle-Lernplattform Deutschlands stürzt ab – und lässt Hunderttausende Schüler im Bildungsmusterland Bayern im Stich. Microsoft reibt sich die Hände (erweitert und aktualisiert aus Tsp Background)

Als Anfang Dezember Millionen von Schülern nach Hause geschickt wurden, war das die Bewährungsprobe für die Lernmanagementsysteme (LMS) der Bildungsrepublik. Sie mussten nun den digitalen Kontakt zwischen Schülern und Lehrern herstellen – also das, was im März so furchtbar in die Hose gegangen war. Es kam, wie erwartet, auch im Dezember wieder zu Ausfällen. Überall im Land wackelten die Leitungen – aber Witz weniger als im Frühjahr. Im Norden des Landes kriselte das Lernmanagementsystem „itslearning“. Im Osten verweigerten Berlins „Lernraum“ und „Lernsax“ in Sachsen kurzzeitig den Dienst, auch Thüringens „Schulcloud“ flimmerte. In Bayern allerdings zeigte die Plattform „Mebis“ den Nutzern gleich tagelang die Fehlermeldung: „Aktuell sind alle vorhandenen Ressourcen ausgelastet.“ Meistens zwischen acht und zehn Uhr war die Plafform nicht erreichbar – und das obwohl Mebis’ Serverkapazitäten deutlich erhöht worden waren. Es kam zum Koalitionskrach. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hätte am liebsten seinen irrlichternden Kultusminister Michael Piazolo entlassen – der aber den Freien Wählern angehört. (… mehr)

Digitale Bildungsrevolution: hier ist sie

Eine regelrechten Digitalisierungswelle erfasst Jugendliche, Studierende – und die Schulen. 150 Prozent mehr Schulcloudzugang. (Erweiterter Beitrag aus dem Tagesspiegel Background Digitalisierung)

Die Jim-Studie ist das wichtigste Fieber-Thermometer für die Digitalisierung der Jugend. Seit 1998 untersuchen die beiden Landesmedienanstalten Baden-Württembergs und Rheinland-Pfalz´ zusammen mit dem SWR den Medienumgang der 12- bis 19jährigen. Seitdem hat die Studie „Jugend, Information, Medien“ (JIM) keine derartigen Sprünge in der Nutzung digitaler Medien mehr gesehen. Corona hat die Jugend digitalisiert – mit Zuwächsen bei allen digitalen Mediennutzungen von Gaming über TikTok bis hin zu Schulclouds. Aber ausgerechnet die Schulclouds, über die der Bitkom nicht genug lästern kann, schießen den Vogel ab – sie hängen Tiktok bei den Zuwächsen ab. (… mehr)